Automation in der Energiebranche
Interview mit Ralph Landolt und Markus A. Meier
Veröffentlicht am 6. August, 2020
Zu den traditionellen Automationsmöglichkeiten mit ERP Systemen wie SAP/S4 HANA gesellt sich seit neuestem die “Hyperautomation“. Laut Gartner zählt Hyperautomation zu den Top-Trends für 2020. Hyperautomation steht für die Automation von Aufgaben, die früher wir Menschen ausgeführt haben. Die Automation erfolgt durch den kombinierten Einsatz von Robotics Process Automation (RPA), Machine Learning (ML), Chatbots, Business Process Management (BPM) und Process Mining.
Markus A. Meier von BKW und Ralph Landolt von BOYDAK Automation beleuchten das Thema aus Sicht der Energiebranche.
Warum ist Automation ein Thema bei euch?
Markus A. Meier (MM): Durch das starke Wachstum der BKW in den letzten Jahren mussten viele zusätzliche Aufgaben von den bestehenden Teams absorbiert werden. Auch sind die Anforderungen an die finanzielle Steuerung der BKW Gruppe mit ihren verschiedenen Geschäftsmodellen stark angestiegen. Automation war bei uns somit ein Mittel, einerseits zusätzliche Konzerngesellschaften im Accounting in die Finanzbuchhaltung des Konzerns zu integrieren und andererseits die Ressourcen im Controlling aktiv auf wertschöpfende Arbeiten resp. Steuerung der Geschäfte zu konzentrieren.
Ralph Landolt (RL): Salopp gesagt ist Automation in der Schweiz ein riesiges Thema, weil wir es uns nicht leisten können, dass sich top ausgebildete Mitarbeitende mit repetitiven Copy-Paste-Arbeiten beschäftigen. Die Schweizer Unternehmen stehen schon seit jeher in einem starken Kostenwettbewerb. Die Wirtschaft muss sich also Wege suchen, unsere Mitarbeitende möglichst in differenzierenden, schwer zu kopierenden Tätigkeiten einzusetzen: dazu gehören zum Beispiel Innovation, Motivation und Führung von Teams oder Kundenbeziehungsmanagement. So können wir in der Schweiz Automation als Treiber der Wettbewerbsfähigkeit begreifen. Wir nennen das «Automate to Innovate».
Was für konkrete Anwendungsfälle für Robotic Process Automation (RPA) gibt es?
MM: In der BKW haben wir inzwischen im Bereich Handel, Accounting und Controlling Prozesse mit RPA automatisiert. Im Handel gleichen wir Handelsverträge verschiedener Strom-Handelsplattformen mit den internen Systemen ab. Im Management Accounting mutieren wir Projekte im SAP mittels RPA und im Controlling werden Eigenleistungen mittels RPA budgetiert.
RL: Überall dort, wo repetitive regelbasierte Tätigkeiten ausgeführt werden, kann RPA den Mitarbeitenden helfen, diese «langweiligen» Aufgaben loszuwerden und sich spannenderen Tätigkeiten zuzuwenden. Dabei kann RPA wie ein Legobaukasten mit anderen Automationstechnologien wie BPM, Chatbots oder Process Mining kombiniert werden. Gartner nennt das «Hyperautomation» und bezeichnet dies als den #1 Trend für 2020.
Wie startet man ein solches Vorhaben?
MM: Am besten holt man sich für Start externe Unterstützung und tauscht sich mit Unternehmen aus, welche RPA schon einsetzen. Dann möglichst schnell die ersten 2-3 Prozesse identifizieren, die man automatisieren möchte. An diesen Prozessen lernt das Team die RPA-Technologie und verschiedene Software-Lösungen kennen, und vor allem feiert man erste Erfolge.
RL: “Start Smart – Think Big – Scale Fast”. Der Vor- und der Nachteil von RPA ist die schnelle, effiziente Umsetzung der Lösungen. Innerhalb von wenigen Wochen können die ersten Resultate erzielt werden. Oft bleiben aber solche Vorhaben auf taktischer Ebene stecken und erreichen nicht die notwendige strategische Flughöhe. Eine hohe Automationsreife ist ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil. Nicht nur auf der Kostenseite. Als Arbeitgeber ist man viel attraktiver, wenn man den Teams spannende Tätigkeiten rund um Innovation, Motivation und Führung oder Kundenbeziehungsmanagement bieten kann. Die Herausforderung für viele Unternehmen ist es, nicht in der Start Smart Phase stecken zu bleiben.
Wie kommt das Thema bei den Mitarbeitenden an?
MM: Zuerst sind die Mitarbeitenden skeptisch. Sobald jedoch die ersten Erfolge vorhanden sind, kommt der «Hunger». Alle sehen dann noch mehr Prozesse, die man einem «Computer» übergeben möchte. Deshalb ist nach der ersten Phase des «Kick-Starts» eine Phase der Strukturierung wichtig. Dazu gehören das Operating Model, die Governance und auch eine strukturierte Prozessidentifikation.
RL: Es braucht eine klare Vision: Warum sollen wir automatisieren? Was bringt es mir als Mitarbeitende? Was nützt Automation mir als Führungskraft? Warum soll ich mich mit dem Thema beschäftigen? Darauf braucht es Antworten. Das kann so aussehen: wir automatisieren alle repetitiven Aufgaben und bilden unsere Mitarbeitende aus, um mit neuen Technologien umzugehen oder um sich auf spannendere Aufgaben zu konzentrieren. Es braucht auch Klarheit, was mit den Personen passiert, deren Aufgaben automatisiert werden. Sonst führt das zu Ängsten und Blockaden. Ein Kunde von uns sagt zum Beispiel: Es wird niemand entlassen, dessen Aufgabe automatisiert wird. Gleichzeitig werden Neubesetzungen systematisch auf ihre Notwendigkeit überprüft.
Auf was müssen Führungskräfte achten?
MM: Wichtig ist, transparent mit allen Beteiligten zu kommunizieren. Hier stehen vor allem die Fachbereiche, die Compliance und die IT im Fokus. Man muss sich diese Zeit nehmen und auch mit den zukünftigen «Anwender» der Robots sprechen. RPA kann nicht ein «Top-down Ansatz» sein.
RL: Gute Führungskräfte erklären ihren Teams wie Automation hilft, die strategischen Ziele zu erreichen. Automation löst oft Silodenken aus. Führungskräfte haben als Kernaufgabe, diese Silos aufzubrechen. Wer nur an sein eigenes Gärtli denkt, wird nicht das volle Automationspotential ausschöpfen können. Nicht einmal im eigenen Garten.
Was bringt die Zukunft?
MM: Ich denke, dass RPA eine gute Zwischenlösung der Automatisierung ist. Neue ERP-System wie SAP S4/HANA oder auch SAP Analytics Cloud bieten selbst immer mehr Automatisierungslösungen. In einer stabilen Systemlandschaft werden an kritischen Schnittstellen auch permanente Schnittstellen programmiert. RPA darf nicht ein Selbstzweck sein, sondern nur dort eingesetzt werden, wo es einen wirklichen Mehrwert bringt.
RL: Intelligente Automation wird immer komplexere Aufgaben automatisieren. Sinnbildlich steht RPA für die ausführenden Hände und Füsse. Aber das Hirn ist ja auch ganz wichtig: Dort finden die Analyse, das Verstehen und das Kontextualisieren statt. Momentan können RPA Lösungen vor allem mit strukturierten regelbasierten Prozessen umgehen. Es gibt aber immer mehr Bausteine, mit denen die RPA-Lösungen noch intelligenter werden. So können z.B. mit Chatbots Anfragen von Kunden beantwortet werden, in dem sie mit Hilfe eines RPA-Bot in ein Kernsystem gehen, die relevanten Informationen rausholen und das dem Kunden zurückspielen. So werden die Service-Center Mitarbeitenden von langweiligen Routineaufgaben entlastet und der Kunde kann 24/7 eine Antwort auf seine Frage erhalten.